Über Aphasie

Wer seine Sprache verliert,
verliert seine Umgebung,
wer seine Umgebung verliert,
verliert sich selbst.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen heute Abend müde, aber zufrieden ins Bett, schlafen ohne Probleme ein – und wenn Sie morgen früh aufwachen, sind Sie so verwandelt wie Gregor Samsa in der Kafka-Erzählung „Die Verwandlung“: Sie liegen wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken, Ihre rechte Seite ist unbeweglich. Sie könne sich nicht drehen und nicht aufstehen. Ihre Familie steht erschreckt um Sie herum. Sie erklären, was los ist- aber niemand hört Ihnen zu – man versteht Sie nicht. Und Sie merken, dass die anderen eine Sprache sprechen, die Sie nicht verstehen. Sie haben Schmerzen, Ihnen ist übel, Sie müssen dringend ins Bad – aber Sie haben Probleme, den anderen klarzumachen, weder mündlich, noch schriftlich, noch durch Gesten. Sie fühlen sich ausgeschlossen, sind total einsam und hilflos, und Sie wissen nicht wie Sie in diesen Zustand hineingeraten sind und ob er je wieder aufhört.

Kafkas Schreckensvision ist nicht so absurd, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Jedes Jahr werden
80 000 Menschen von solch einem Schicksalsschlag getroffen: Durch eine Verletzung der linken Hirnhälfte bei einem Schlaganfall verlieren sie die Fähigkeit, mit Sprache umzugehen.

Geben Sie nicht auf!

(Aus dem Buch „Das Schweigen verstehen“ von Dr. Luise Lutz)